Die Metamorphosen der Weiblichkeit

(El Obscure Objeto de Deseo - Das Obscure Objekt der Begierde)

1

Es war seltsam, der Film war schon zu Ende, und ich wusste noch nicht,
ob die selbe Schauspielerin hier ihre trügerische Rolle schon beendete,
des Mannes, der schwärmend für ihre so sinnliche schon Kinderschönheit,
die ihn zum Wahnsinn brachte, allein durch die Sehnsucht nur zu berühren,

2

ihre bereits lasterhafte Silhouette, mit dem Versprechen der Ursünde...
es war seltsam, damals in der lauen Frühlingsnacht von Ostberlin,
so fragte ich Ulla, meine langhaarige Seidenliebe, sie spielte doch auch
die liederlichen Schönen in dem steinernen Theater Berliner Ensemble...

3

wo der Prinzipal Bertold Brecht einst, durch den Mund eines seiner Helden,
ich glaube Galileo, so wahrhaftig aussprach die Urwahrheit der Metaphysik der Liebe:
Die Liebe fängt mit der Eigenliebe an...und teilte mir damit nur mit, dass eben auch ich...
glücklich war, durch das Glück der zitternden Körper der berauschenden Frauen, wenn sie,

4

vielleicht, auch glücklich waren, knapp vor dem Augenblick meines kleinen Todes in ihrem Schoß, wenn
die Eigenliebe schon in die Liebe übergeht, durch die Sehnsucht auch die Anderen zum Glück zu bringen,
damals war der Film zu Ende, inmitten einer magischen Frühlingsnacht, und auch ich sehnte mich plötzlich danach
sie glücklich zu machen, vor dem Glück meines jungen Körpers, noch vor meinem Tod eines Erhängten in ihrem Inneren,

5

den ich nach ihrem letzten Stöhnen starb, in ihrer kleinen schrägen Mansarde, unterm Dach
einer kleinen Seitengasse, direkt am Frankfurter Tor, dennoch schaffte ich es vorher noch
ihren endlos langen Zopf zu entflechten, der Strohfarbe, um sie, mit dem samten Schleier ihres Haars
und meiner Küsse, durchsichtig, zu verhüllen, zwischen ihrem: es ist so süß und meinem: ach Bože, má lásko...
(Oh mein Gott, Du meine Liebe...)

6

Es war seltsam, der Film war zu Ende und ich wusste damals nicht, hinter der Mauer,
die hermetisch das Europa der siebziger Jahre teilte, ob der Film wirklich zu Ende war
oder damals noch weiterlief, durch die Magie der Phantasie meiner aufgeregten Sinne,
und so fragte ich sie, ach, ich weiß es... immer noch: Ulla Bach war ihr voller Name,

7

ob im letzten Film von Louis Bunuel, vor seinem Tode, jenes Mädchen,
was Fernando Rey in Verzweiflung bringt, immer noch die gleiche Frau sei? Die Vision
eines jungen Mädchens mit dem Zopf, welche die züchtige Coppélia austanzt, und zugleich auch
die grausame Priesterin der Liebe ist, mit den roten Schatten um die Augen, war sie wirklich dieselbe?

8

Und Ulla, in der Vorahnung schon, der Magie der überwältigenden Berührungen, vor der Ekstase
ihres pfirsichgleichen und moschusduftenden Körpers, im Vorgefühl seiner wundervollen Erstarrung,
wenn der so weit kam zu wogen, in der Mitte des unerforschbaren Weltalls, beim ihrem letzten Seufzer
des Ineinanderfließens mit dem unendlichen Raum, wenn für einen Augenblick die Zeit stehen bleibt...

9

sagte nein, du kleiner Narr, was irrst du, doch nur durch das Schminken verwandelt man
ein junges Mädchen, was wie eine Fee auf einer Waldlichtung tanzt, es genügt ihr nur die Haare
auseinander zu kämmen, in eine Dirne, Hure, Mätresse, Kurtisane oder Geisha des weiten Orients,
aber das Kind bleibt ihr unabwaschbarer Teil, weiterhin behält sie ihre ewig mädchenhafte Unschuld...

10

sie flüsterte mir damals nur: nein, täusche dich nicht, die Unschuld doch bloß durch das Schminken,
das Mädchen, was wie eine Fee tanzte, auf der Lichtung weit im tiefen Wald, wenn du nur ihren Zopf auflöst,
verwandelt sich plötzlich in eine Magd, Mätresse, Kurtisane oder Odaliske einer heißen Nacht,
die weiterhin sich sehnen wird nach ihrem Kindertanz, dem luftigen, mit Kränzen in ihrem Haar,

11

die weiterhin ihre Kleinträume ersinnt und schluchzt in ihr Kopfkissen geheim,
um Tag danach wollüstig deinen Körper zu berühren, in Vorahnung der geheimen Träume,
die sie erleben wird, nicht mehr im Traum, mit dem, der schmückte ihres Kinderzimmers Wand,
und dann allein im Halbtraum, mit ihrem nacktem Körper weiterspielet, durch die Seide verschleiert...

12

Es war seltsam, der Film war zu Ende, in dem lauen Berlinerabend, und die Bilder
spiegelten sich in mir weiter, mehrere Sinnlichkeiten mehrerer Antlitze einer Frau,
möglich von zwei Ausdrücken, möglich von mehreren erotisierenden Körper,
und ich in Ulla plötzlich ein Kind sah, aber zugleich Geliebte und Mutter...

13

sah in einem Körper einer Frau die Sehnsucht, Anmut, als auch sinnliches Streicheln des Kindes noch,
als auch den Kuss der Mutter, dennoch auch die Leidenschaft, durch den feuchten Krampf unterbrochen,
ich sah in einem Antlitz einer Frau ein Kind, als auch eine Mutter und zugleich eine Magd, bloß eine Dirne wie
Marie von Magdala, sie hatte doch auch die Länge ihrer Umarmung durch die Zahl der Körnchen ihrer Sanduhr gemessen... (durch die Sandkörnchen ihrer Uhr gemessen?)

14

Es war ein Gefühl auf der Grenze der Magie, der Film war zu Ende im Kino Metropol,
dort auf Frankfurter Allee, in einer lebendigen Stadt, die unsere geteilte Welt symbolisierte,
in einer Stadt, die wie auch Prag durch die Orgien der Liebe den Verlust der Identität nachholte,
und ich damals nur selten konnte, mit dem zauberhaften Passierschein, mit dem Siegel und Wunderstempel

15

über den Bahnhof Friedrichstraße nach drüben durchdringen, ins damals verbotene Jenseits
in die Antiseite der gleichen Welt, durch das schwarze Loch, ins déj?-vu des gleichen Universums,
in den inversen Teil des gleichen Lebensraumes, bewohnt eben auch durch die normalen Träumer,
dessen Träume auch die morbide Mauer störte... von einer Seite die jauchzenden Farben der Muralisten,

16

der Nachkommen von großen Meister der schwungvollen farbigen Flächen der Hochebenen von Mexiko,
der begeisterten Nachfolger vom göttlichen Diego, mit der Palette aus der La Palette in der Pariser Rue de Seine,
vom göttlichen Rivera und seiner göttlichen Frida Kahlo, der Geliebten der dunklen Frauen und auch von Lion Trotzky
und seiner gestohlenen Russischen Revolution, und auch von Farben der Nachfolger vom großen Orozco und auch von Sigueiros,

17

der Nachfolger von Jean Miotte, der gleich nach dem Krieg wieder...in den Krieg gehen musste,
und als junger Rekrut den Ekel der Soldatenbaracken durch seine bunten Visionen schmückte, Stück von Lyon,
den Betonekel des Militärgraus durch die Monumente der Pop-Art-Visionen der traumhaften Flächen voll von Farben,
und Liebe und runden Hüften der Mädchen, und auch Gitarren, und des Azurs des Meeres und des Blaus des Himmels...

18

und jenseits ihrer Galerie die verbotene Todeszone, ein Streifen ohne Leben
und ohne Lächeln, was zum Leben so treu gehört, das Gelächter ist doch mit der Liebe verwandt
und zum Blutsbruder dessen Vorboten wurde, des Trugs der Sinne, wenn das Herz schon schneller schlägt
in Vorahnung des Wahnsinns der Ekstase, durch die unaufhaltsam anfängt, vielleicht, jene höchst sonderbare Nacht,

19

die eben auch die Letzte aller Nächte werden kann, die man im Leben durchlebte,
weil jede Nacht deine letzte war, solange du dich nicht wieder abends schlafen legst,
unsicher, ob du des nächsten Tages wieder durch die Sehnsucht weiter zum Leben erwachst,
und wirst weiter deine Pläne ersinnen, nie wissend, ob es ist nicht nur um einen schwelgerischen Traum geht,

20

aber auch der ist der unausweichliche Teil des nostalgischen Weges eines Weltverbessers zum Tode,
vor dem auch die verträumten Dichter solche Angst haben, für immer verstummen dann ihre Verse,
durch die sie noch das Unendliche der Gefühle singen wollten, über die Liebe oder das Nichtsterben,
auch denen, die das böse Leben lebten, die haben Angst vor dem Tode und auch vor ihren Reimen...

21

Es war seltsam, der Film war damals zu Ende und ich ahnte, dass mich nicht mehr verlässt
die Vision einer Frau zwei oder mehreren Gesichter, die betäubend durch ihre zärtliche Stimme
die wahnsinnigen Schiffer, auf der Wetterseite des Seesturms, zur direkten Fahrt in die Riffe lockt,
ich wusste, dass die Traumvision des Symbols dieser jungen Frau mir für immer nimmt...den ruhigen Schlaf.

22

Ich wusste plötzlich, dass ich durch diesen Film den mythischen Urgrund der zärtlichen Weiblichkeit begriff,
und fragte morgens Ulla nicht mehr, meinen Kopf noch weich in ihrem Schoß, die ätherische Vision
meines Tagestraums vom geschmeidig schlanken Körper einer Frau mit Pfirsichhaut, ich fragte sie...
nicht mehr, in der Wärme ihrer glatten Schönheit jetzt schon plötzlich die Antwort wissend...

23

ob vielleicht in dem letzten berühmten Film von Bunuel jene geheimnisvolle Frau,
die Fernando Rey zerstört, durch das unfassbare Mysterium ihrer reifen Schönheit, ist
nur ein zartes Trugbild von Lolita sie, die heute nur mit der Zunge ertanzt die Epopöe der kindisch,
dennoch reifen schon Leidenschaft auf deinem Körper, mit der Vorahnung des morgigen tiefen Lasters

24

und gleichzeitige Vision der grausamen Priesterin, die die männliche Liebe durch den grausamen Tod zerstört,
wie die Weibchen gewisser Spinnen nach dem Liebesakt, durch die Liebe die nicht mehr brauchbaren Körper
ihres Männchens auffressen, nachdem er vorher blind sein magisches Elixier der Stammeserhaltung abgab,
die Vision der Bienenkönigin, die ihre Drohnen nachdem zum Tode verurteilt, ist auch das alles Liebe?

25

Es war seltsam, der Film war längst zu Ende, und ich wusste damals zuerst nicht,
ob die gleiche Schauspielerin die so grausame Rolle der Täuschung eines Mannes hier beendete,
der wahnsinnig wurde durch ihre so sinnliche schon Kinderschönheit, die ans Morbide grenzte,
die ihn zum Wahnsinn brachte, nur durch die Sehnsucht zu berühren, den Duft ihrer Haare

26

und auch bloß ihre schamlose Silhouette, die eine betäubende Verheißung der Ursünde versprach.
Es war die unwiederholbar sprachlose Magie einer lauen Frühlingsnacht im damaligen Ostberlin,
so fragte ich Ulla, meine langhaarige Seidenliebe, die selbst die unkeuschen Schönen spielte,
in dem steinernen Theater Berliner Ensemble, an der Mauer, am Ufer der Spree...

27

wo der Prinzipal Bertold Brecht einst durch den Mund eines seiner Helden,
ich glaube Galileo, so wahrhaft die Urwahrheit der Metaphysik der Liebe aussprach:
Die Liebe fängt mit der Eigenliebe an... und teilte mir nur damit mit, dass
auch ich glücklich war durch Vermittlung des Körper meiner Frauen, wenn auch sie...

28

vielleicht glücklich waren kurz vor dem Augenblick meines Todes in ihrem Arm, wenn die Eigenliebe
schon in die Liebe übergeht, durch die Sehnsucht glücklich zu sein durch das Glück des Anderen,
damals war der Film zu Ende, in einer lauen Frühlingsnacht, und auch ich sehnte mich danach
sie glücklich zu machen durch das Glück meines Körpers, der durch den kleinen Tod starb,

29

erst nach ihrem letzten Seufzer, in dem ich meinen Namen ahnte, in ihrer kleinen Dachmansarde
dort in der kleinen Straße am Frankfurter Tor, aber vorher ihr zärtlich Auseinanderflechten
ihren unendlich langen Zopf, strohfarben, und verhüllte sie dann mit dem dünnen Schleier
der Küsse zwischen ihrem: es ist so süß; und meinem O mein Gott, Du meine Liebe...
(Ach Bože, má lásko...)

30

Es war seltsam, der Film war schon zu Ende und ich wusste damals nicht
hinter der Mauer, die hermetisch das Europa der siebziger Jahre abtrennte, ob
der Film aufgehört hatte oder weiter sich fortsetzte, durch meine aufgereizten Sinne,
und so fragte ich sie, die auch Frauen liebte, ach, Ulla Bach war ihr voller poetischer Name...

31

ob vielleicht in dem letzten Film von Louis Bunuel, jenes Mädchen,
was Fernando Rey zur Verzweiflung bringt, immer noch die gleiche Frau ist?
dieses Trugbild eines jungen Mädchens mit dem Zopf, welches die keusche Coppélia austanzt
und zugleich die grausame Priesterin der Liebe ist, mit den roten Schatten um die Augen, ist sie wirklich dieselbe?

32

Und Ulla, in der Ahnung schon, der Magie der überwältigenden Berührungen vor der Ekstase,
ihres pfirsichgleichen Körpers, in seinem Vorgefühl der wundervollen Erstarrung, wenn der
in Schwingung erbrachte, in der Mitte des Weltalls, und bei ihrem letzten Seufzer
mit dem Raum ineinander fließt, wenn für Augenblick die Zeit stehen bleibt...

33

sagte sie nur nein, du kleiner Narr, du täuschst dich, doch nur durch das Schminken verwandelt man
ein junges Mädchen, was wie eine Fee tanzt, auf einer kleinen Waldlichtung, es reicht ihr Haar auseinander zu kämmen,
um sie in eine Dirne, Hure, Mätresse, romantische Kurtisane, oder singende Geisha mit Erfahrung des Orients zu verwandeln,
aber das tanzende Trugbild auf einer kleinen Lichtung, weit im tiefen Wald, bleibt weiterhin ein Anteil ihrer so keuschen Unschuld...

34

flüsterte sie nein, was bildest du dir ein, doch die Unschuld nur, durch das bloße Schminken,
das junge Mädchen, was wie eine Fee auf der Waldlichtung tanzte, wenn Du ihren Zopf auflöst,
verwandelst du sie in eine Magd, Mätresse, Kurtisane oder wartende Odaliske einer warmen Nacht,
die weiterhin sich sehnen wird nach ihrem Kindertanz, dem so luftigen, mit Kränzchen in den Locken ihres Haars,

35

die weiterhin ihre Kleinkinderträume ersinnt und schluchzt in ihr Kopfkissen geheim,
um am Tag danach wollüstig deinen Körper zu berühren, in Vorahnung der geheimen Träume,
die sie erleben wird, nicht mehr im Traum, mit dem, der die Wand ihres Kinderzimmers schmückte,
und dann allein im Traum mit ihrem nacktem Körper zu spielen, geschmückt nur durch die durchsichtige Seide...

36

Es war seltsam, der Film war längst schon zu Ende, in dem lauen Berlinerabend,
und die Bilder spiegelten sich in mir weiter, die Vision der Sinnlichkeit mehrerer Antlitze
einer einzigen Frau, fähig zu zwei Erscheinungen, fähig zu mehreren erotisierenden Körper,
der Film war zu Ende und ich sah in Ulla plötzlich ein Kind, dennoch zugleich meine Geliebte und Mutter...

37

sah in einem Körper einer Frau die Sehnsucht, Anmut, als auch sinnliches Streicheln eines Kindes...
als auch den Kuss eigener Mutter, dennoch auch die Leidenschaft, durch ein so feuchtes Erstarren unterbrochen,
ich sah in einem Antlitz einer Frau ein Kind, als auch eine Mutter und zugleich das verkäufliche Lächeln einer Magd,
eine Dirne wie Maria Magdalena, die maß die Länge der Umarmungen nach der Zahl der Körnchen ihrer Sanduhr...

38

Es war ein Gefühl auf der Grenze zur Magie, der Film war zu Ende im Kino Metropol
auf Frankfurter Allee, in der lebendigen Stadt, die brutal die abgetrennte Welt symbolisierte,
in einer Stadt, die wie auch Prag durch die Orgien der Liebe den Verlust der Identität nachholte,
und ich konnte später nur selten, durch Wunder, mit Passierschein und seinem zauberhaften Stempel mit Siegel

39

über den Bahnhof Friedrichstraße zu der sonnst verbotenen Seite durchdringen, ins metaphysische Jenseits,
zur Antiseite der gleichen Welt, durch das schwarze Loch in die verbotene Teile des gleichen Universums,
in den inversen Teil des gleichen bewohnten Raumes, wo auch normale Menschen ihre Träume lebten,
die eben die morbide Mauer auch hinderte...von einer ihrer Seite die bunten Farben der Muralisten,

40

der Nachkommen vom großen Meister der schwungvoll farbigen Flächen von Mexiko, von Diego,
vom göttlichen Rivera, der seine alte schmutzige Palette geheim mitbrachte, aus seiner La Palette,
dort im Quartier Latin, in der Rue de Seine, wo er seine Farben mischte, unweit von Picasso,
um die Rhapsodien der Farben seines Mexikos zu komponieren, Orozco und auch Sigueiros sahen zu...

41

der Nachfolger von Jean Miotte, des Bewunderers der Ekstase der Körper beim Tanz, der den Ekel
der Soldatenbaracke durch seine Vision verschönte, und der Fülle der Schönheit und farbiges Dufts der Sehnsucht
und des keuschen Ockers der vollen Mädchenbusen und des Brauns ihrer Spitzen und auch des Weißes ihrer Hüften,
und der endlosen Länge ihrer dunklen Haare und eben auch der Duft der Farben des schon abstrakten Parfüms ihrer Schöße...

42

und dort drüben von ihrer Galerie dann die verbotene Todeszone, ein Streifen ohne Bewegung,
und ohne Lächeln, was zum Leben so treu gehört, doch das Gelächter ist mit der Liebe verwandt,
wurde zum Blutsbruder dessen Vorboten, des Trugs der Sinne, wenn dein Herz schon schneller schlägt
in Vorahnung des Wahnsinns der lauten Ekstase, durch die, vielleicht, jene sonderbare Nacht anfängt,

43

die zur letzten aller Nächte werden kann, die im Leben vielleicht der Mensch durchlebte, weil jede Nacht
auch die letzte sein kann, solange du dich abends nicht, wieder neu erschaffen, schlafen legst,
immer ohne Garantie, ob dich morgens wieder, deine Sehnsucht zum Leben erweckt,
um neue Pläne zu ersinnen, ohne Sicherheit, dass es kein schwelgerischer Traum sei,

44

wenn auch der gehört zum unausweichlichen Teil des nostalgischen Weges zum Tode,
vor dem die Dichter solche Angst haben, für immer verstummen dann ihre pathetischen Verse,
durch die sie noch das Unendliche der Gefühle sagen wollten, über die Liebe oder das Nichtsterben,
auch denen, die das böse Leben lebten, die haben Angst vor dem Tode und eben auch vor ihren Reimen...

45

Es war seltsam, der Film war damals zu Ende und ich ahnte schon, dass mich nicht mehr verlässt die Vision...
einer Frau mit zwei oder vielleicht mehreren Gesichtern, die durch ihre zärtlich verführerische Stimme betäubend,
die wahnsinnigen Schiffer lockt, auf der Wetterseite des Seesturms zur direkten Todesfahrt in die steilen Felsenriffe,
ich ahnte damals, dass die Vision des Symbols dieser jungen Frau mir für immer meinen ruhigen Schlaf nehmen würde...

46

Und wusste damals plötzlich, dass ich das Wesen des Weiblichen durch diesen Film für immer begriff,
morgens fragte ich nicht mehr, den Kopf noch in ihrem Schoß, meine schlanke sanfte märchenhafte Vision
meines Traums, mein damals junger Körper verborgen noch in der Wärme der Wärme ihrer Schönheit...
ich begriff damals, dass seit dieser Nacht ich schon die Wahrheit kenne und stellte nicht mehr die Frage,

47

ob vielleicht in dem letzten Film von Louis Bunuel jenes Mädchen,
die Fernando Rey in Verzweiflung bringt, immer noch die gleiche Frau sei?
dieses Trugbild des Mädchens mit dem Zopf, welche die keusche Coppélia austanzt und zugleich
die grausame Priesterin der Liebe ist, mit den dunklen Farben um die Augen, ist sie nur die Eine?

48

Es war aufregend, der Film war zu Ende und plötzlich wusste ich, dass die gleiche und auch andere
verführerische Schauspielerin hier ihre die nie endende Rolle der Täuschung aller Männer beendete,
derer, die wahnsinnig wurden durch ihre so sinnliche schon Kinderschönheit, und sich weiter dabei
geheim sehnen nach den verbotenen Visionen ihrer geheimen Jünglingsträume der jungen Aphroditen...

49

Und dann eines Herbsttages, da war er einige Jahre nicht mehr unter uns, vertiefte ich mich
ins Lesen der Memoiren des großen Spaniers, der einst durch seinen Andalusischen Hund
in einigen surrealistischen Minuten die erstarrte Welt schockierte, durch das Durchschneiden
des Auges, was noch kurz unsere Welt sehen wollte, die sich ebenso stürzt in den Untergang...

50

und er da ohne Scheu, direkt lakonisch eingestand, dass in der Mitte seines letzten Filmes...
dass er während des Drehens keine Lust mehr hatte die Launen dieser Schauspielerin zu teilen,
die ihre Rolle der eingebildeten Konkubine auch außerhalb des Blicks der Kamera zu spielen anfing,
und so tauschte er sie aus, gegen eine Andere, die auch die Demut kannte, mit dem Anhauch der Ähnlichkeit und...

51

die Zuschauer vermutlich überhaupt nicht ahnten, dass eine andere Frau diese Rolle zu Ende spielte...
einer Frau über eine andere Frau, die durch die fehlende Demut wieder auch zur anderen Frau wurde,
und er konnte ruhig die Geschichte bis zum Ende drehen, in Altersjahren bereits von seiner Sehnsucht befreit,
die Frauen zu erobern und ihre Heuchelei entgegenzunehmen, auch deshalb schon ohne Gier und Leidenschaft

52

beendete der große Mann sein obskures El Obscuro Objeto, in dem er noch voller Sehnsucht zu schöpfen
bis zum Ende kämpfte mit seinem El Deseo, mit der leidenschaftlichen Sehnsucht seiner surrealistischen Jugend
nach der Erfüllung des realen Traumes, der grausam erotischen Visionen, des brutal vernichtenden Jünglingsalters,
dort in der Bigotterie von Katalanien oder auch Andalusien, oder als Opfer der Heuchelei des so verführerischen Madrid...

53

er beendete seinen letzten Film, in dem er voll von Sehnsucht mit der Leidenschaft abrechnete,
die ihn sonst sein ganzes Leben nicht schlafen ließ, Sehnsucht voll von Berührungen und auch Furcht,
der letzte Film des Mannes, der Umarmungen auch Ekstasen kennen lernte, und dessen Erfüllungen
Das Obskure Objekt der Begierde eines Genies, dessen Absicht ich damals im Frühling anfing zu ahnen...

54

Es war seltsam, der Film war damals zu Ende, und ich ahnte, dass mich nicht mehr verlassen wird, meine Vision...
einer schamlosen Frau mit einem und mehreren Gesichtern, die durch ihre so zärtlich berauschende Stimme
die wahnsinnigen Männer auf die Wetterseite der menschlichen Leidenschaften lockt, durch den Todesstrudel,
direkt in das Felsenriff, und fühlte dabei, dass ihr mehrfaches Bild mir nicht mehr erlabt meinen Kinderschlaf,

55

und begriff in der längst vergangenen Frühlingsnacht, dass ich schon die Ursubstanz der Weiblichkeit kenne,
und so morgens, den Kopf in ihrem Schoß, fragte ich nicht mehr die schlanke Vision meiner Jünglingsjahre,
im Traum noch verbunden mit dem fest geschmeidigem Körper, durch die feuchte Dunkelheit ihrer Sehnsucht,
auf mehrere Dimensionen der Weiblichkeit, und sagte ihr nicht mehr, dass ich bereits meine Wahrheit ohne Frage herausfühlte...

Pignans, Provence, Oktober 2002
Jiøí Kostelecký